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Putzmachermeisterin Anneliese Hartung: "Ein Hut kann alles ´rausreißen!"

08.09.2010

Exklusive Modellhüte, Head-Pieces für festliche Anlässe, aber auch Kopfbedeckungen für den täglichen Gebrauch – Anneliese Hartung "behütet" seit fast einem halben Jahrhundert Damen- und Herrenköpfe.

Die Eltern, Josefine und Josef Attenberger, hatten 1921 in der Frauentorstr. 9 in Augsburg ein Hutgeschäft gegründet, das schon bald florierte. Tochter Anneliese, gebürtige Augsburgerin, galt von Anfang an als Nachfolgerin des elterlichen Hutgeschäfts. Sie besuchte die renommierte Maria Ward Schule und absolvierte dort mit sehr gutem Erfolg die kaufmännische Wirtschaftsschule. Nach Beendigung der Modisten-Lehre (mit tollem Prüfungsergebnis!) folgten Lehr- und Wanderjahre als Modistin in einem Nürnberger Hutsalon, der für das Nürnberger Theater arbeitete, sowie in einem weltweit anerkannten Hutmacherbetrieb in Zürich mit zwei großen Ateliers und 40 Modistinnen. "Es war die beste Ausbildungszeit meiner Wanderjahre", erinnert sich Frau Hartung. 1964 übernimmt sie das elterliche Hutgeschäft, das seither unter "Hutsalon am Dom" firmiert. Die Meisterprüfung als Putzmacherin absolvierte sie im Jahr 1960. Anneliese Hartung ist Mitglied im Prüfungsausschuss der Handwerkskammer München/Oberbayern.

Jährlich kann die exzellente Modistin (so die heutige Berufsbezeichnung) auf der Modemesse IGEDO / CPD in Düsseldorf begehrte Auszeichnungen für fantasievolle, handwerklich anspruchsvolle Hutkreationen einheimsen. Zuletzt im September 2009, wo sie - wie oftmals zuvor - den 1. Platz im internationalen Hut- und Mützensalon erzielte. Anneliese Hartung ist glücklich verheiratet und Mutter zweier erwachsener Kinder.

"Ich war immer lustig und laus-mädchenhaft, aber auch eine kleine Revoluzzerin", erinnert sie sich. Aus dem aufmüpfigen kleinen Mädchen von einst ist längst eine feinsinnige Dame geworden, die mit ausgeprägtem Sinn für geschmackvolle Hut-Mode ihre Kundinnen und Kunden immer wieder aufs Neue zu begeistern versteht!

Was hat Sie dazu gebracht, Modistin zu werden?
Es stand von Anfang an fest, dass nicht mein älterer Bruder, sondern ich das Hutgeschäft meiner Eltern einmal fortsetzen werde. Meine Großmutter, eine sehr talentierte Näherin, brachte mir schon als kleines Kind das Nähen von Puppenkleidern bei. Puppen ohne Hüte – das war damals undenkbar. Also lernte ich auch gleich das Hütemachen. Ich habe schon Hüte gefertigt, da konnte ich noch nicht einmal lesen und schreiben. Ich bin gewissermaßen in den Beruf Modistin hinein geboren und von meiner Mutter, eine für die damalige Zeit hervorragende Modistin, hinein erzogen worden. Ich habe meine Puppen schnuckelig und mit passenden Hüten angezogen, halt so, wie ich es wollte. Das Geschäft übernahm ich 1964 – 2 1/2 Jahre vor dem Tod meiner Mutter. Aber leider geriet ich in die hutlose Zeit. Hüte waren im Zeitalter von Courrège nicht mehr gefragt.

Wie haben Sie denn diese Zeit überstanden?
Nun, wir fertigten jede Menge Brautschleier, die zu den jeweiligen Brautkleidern passen mussten. Im Winter waren es Pelzhüte und Mützen, die uns beim Überleben geholfen haben. Ältere Damen wollten damals ja keine auffallenden Hüte tragen. Und auch die Herren kauften längst nicht mehr so viele Hüte. Der Hütebedarf der Nachkriegszeit war vorüber. So trennten wir uns vom Sortiment Herrenhüte. Dafür bauten wir uns mit Damenkonfektion ein zweites Standbein auf.

Es kamen dann aber wieder Hut-Zeiten?
Ja, Anfang der 90er Jahre waren wieder die so genannten Ascot-Hüte gefragt. Großvolumig, ausladend, prachtvoll. Zunächst war es für uns schwierig, in Deutschland die entsprechenden hochwertigen Materialien zu erhalten. Wir bezogen sie viele Jahre aus Italien. Doch jetzt gibt es sie auch bei uns wieder zu kaufen.

Worin liegen die Stärken einer kleinen Hutmanufaktur wie Sie sie führen?
Wir bieten unseren Kunden ein breit gefächertes Hut-Sortiment: von Damen- und Herrenhüten (jetzt wieder im Sortiment) für besondere Anlässe über Laufhüte bis hin zu sportlichen Schildmützen. Alles in erstklassiger Verarbeitung und Verwendung hochwertiger Materialien. Zudem führen wir ansprechende Damenkonfektion, vorzugsweise sportive Mode für Alltag und Freizeit.

Hüte heute?
Tja, wenn ich ehrlich bin, dann sieht man zumeist billige Hüte in schlechter Ausführung und unpassenden Farben. So können wir in unserem Hutsalon am Dom nicht arbeiten. Ich sage immer: ´Wir bringen es einfach nicht fertig, schlampige Hüte zu fabrizieren. Wir können nur gute und schön verarbeitete machen ...´ (lacht).

Woran erkennt der Laie einen handwerklich gefertigten Hut?
An der sachgerechten Verarbeitung und Linienführung. Insbesondere auch an der richtigen Wahl der Garnituren, also am Schleier, Schleifen, Blumen, Federn oder Bändern.

Was sagen Sie zu der Meinung "Ich bin kein Hut-Typ"?
So etwas gibt es nicht! Es gibt für jeden Kopf einen passenden, kleidsamen Hut!

Mit anderen Worten: Sie beraten auch Ihre Kunden bei der Hutwahl?
Ja, natürlich, das gehört zu unserem Service. Für die Beratung braucht es viel Zeit, was leider vom Kunden viel zu wenig berücksichtigt wird. Wir zeigen der Kundin unsere Hutauswahl und beraten sie hinsichtlich Hutform und -farbe. Es gehört sehr viel Einfühlungsvermögen dazu, denn es kommt auf den Huttyp und den Trageanlass an. Wichtig ist auch: jeder Hut muss richtig aufgesetzt werden, auch das wissen viele Kunden nicht. Unser Grundsatz lautet: Wir wollen, dass niemand aus unserem Geschäft mit einem Hut geht, ohne sich dabei wohl zu fühlen. Ein Hut kann von der Gesamterscheinung alles kaputt machen, er kann aber auch alles ´rausreißen! Andererseits: es gibt viele Kunden, die sich nicht beraten lassen wollen. Auch das müssen wir akzeptieren.

Welches sind Ihre Lieblingshutkreationen?
Mir gefällt jedes Modell, das wir hier im Hause herstellen – vom kleinen Head-Piece bis zur breitkrempigen Hutkreation

Welche Hüte sind zum kommenden Herbst/Winter angesagt?
Weiche Materialien wie gekochte Wolle, Walkstoffe und leichte Filze.

Würden Sie jungen Menschen zum Beruf Modist/Modistin raten?
Ja! Vorausgesetzt das Talent ist vorhanden. Andererseits wird es für Auszubildende immer schwieriger, einen Ausbildungsbetrieb zu finden. Und nach der Ausbildung wird es kaum noch einen Arbeitsplatz geben. Wer sich selbständig machen möchte, der muss viel Startkapital mitbringen; denn von Existenzsgründungsdarlehen allein kann man sich heutzutage kaum einen Betrieb aufbauen bzw. sich auf Dauer am Markt halten.

Wenn Sie nochmals vor der Berufswahl stünden – würden Sie etwas anderes machen wollen?
Nein! Ich wollte zum Beispiel nie Schneiderin werden. Ich wollte immer Hüte nach meinen eigenen Vorstellungen machen! Sonst nichts! Ich bin glücklich, wenn immer wieder Frauen meine Modelle kaufen und dann auch glücklich sind.
Das Gespräch führte Brigitte Karch

Weitere Informationen:
www.hutsalon.de

Bildunterschrift: Putzmachermeisterin Anneliese Hartung mit elegantem Ascot-Hutmodell aus der eigenen Werkstätte. Foto: Brigitte Karch

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