Brikada - Magazin für Frauen

Brikada

Münchner Stadtmuseum mit "Mode sprengt Mieder

25.01.2010

Gleich zum Auftakt der Ausstellungsräumlichkeiten begegnen uns ausgewählte Damenmodelle, die als könnten sie sprechen, uns mitteilen wollen: seht her, so frei und individuell und jenseits von irgendwelchen Modediktaten kann Mode heutzutage sein! Diese Einstimmung im Hinterkopf behaltend, wird die Ausstellung zum modischen Parcours durch drei Jahrhunderte illustrer Mode- bzw. Miederhistorie.

"Die Mode ist durch ihre Sprengkraft für das Phänomen von zahlreichen Silhouetten verantwortlich. Das Schnürmieder fungiert durch sein Gerüst als Hilfsmittel der Mode, die weiblichen Silhouetten zu verwandeln und zu modellieren", sagt Dr. Isabella Belting, Leiterin der Sammlung Mode und Textilien und Kuratorin der Ausstellung. Sie fährt fort: "Das Korsett formt, betont und prägt den Frauenkörper und das Verhalten. Das Mieder spielt trotz seiner Ambivalenz, trotz treuer Anhängerinnen und vehementer Gegnerinnen Jahrhunderte lang eine Hauptrolle auf dem gesellschaftlichen Parkett der Damenmode. Spannend sind daher auch die Zeiten, in denen sich die Damenmode tatsächlich von der Schnürung befreit."

In der Ausstellung werden in mehreren Stationen verschiedene Moden gegenübergestellt, die jeweils einen extremen Silhouettenwechsel zur Folge hatten. Das Münchner Stadtmuseum zeigt eine bunte und breit gefächerte Schau, welche die Sinnlichkeit von Mode in ihrer ganzen Vielfalt präsentiert mit zahlreichen originalen Damenkleidern, Schnürmiedern, Korsetts, Modekupfern, Modefotografien, Gemälden, Plakaten sowie Puppen.

Die Stationen reichen vom Schnürmieder im Rokoko (1770 – 1785), in der die Damenmode treibt Zeit üppige Blüten treibt. Die barocke Silhouette ergibt sich durch Schnürmieder und Reifrock. Es folgt die Zeit der luftigen Chemisenkleider des Directoire und Empire (1790 – 1810). Hier gab seinerzeit England den Anstoß zu einer bürgerlichen Mode. Reifrock, Korsett und das gepuderte Haar gehörten seither der Vergangenheit an.

Die 3. Ausstellungsstation steht unter dem Motto: Gefangen im Korsett der Sans Ventre-Linie (1895 – 1905). Dr. Isabella Beltings Beschreibung für dieses modische Jahrzehnt ist durchaus nicht ohne Sozialkritik, immerhin interpretiert sie: "Eine Vielzahl von raffinierten Korsagenkonstruktionen wechseln sich das 19. Jahrhundert hindurch ab. Das S-förmig geschwungene Korsett der Sans Ventre Linie (zu deutsch: ohne Bauch) um 1900 dominiert die Damenmode für ein ganzes Jahrzehnt. Es gilt das Interesse und die Begierde des männlichen Geschlechts zu erwecken. Bis zur Groteske wird der Taillenumfang hierbei häufig verringert. In dem Gefühl ihrer optischen Schönheit und erotischen Ausstrahlung nimmt die Dame die Schmerzen, ja sogar die Gesundheitsschäden klaglos in Kauf, denn einer Frau mit schmaler Taille bieten sich automatisch die besten Partien. Versprechen doch die durch die Schnürung hervorgehobenen Brüste und das betonte Becken eine sinnliche und gleichzeitig gebärfreudige Gattin. Für die Frau in dieser Zeit gibt es kein größeres Glück und auch keinen größeren Wunsch, als gut verheiratet in der besseren Gesellschaft zu verkehren."

Es schließt sich die 4. Station mit "Reformierter Mode und fließenden Stoffe (1903 – 1915)" an. Doch eine "uneingeschnürte" Damenmode zur Vermeidung von Gesundheitsschäden lässt sich nicht durchsetzen. Die damals propagierte sackartige Reformmode entsprach alles andere als "erotischer Weiblichkeit".

Fast zeitgleich formiert sich eine korsettlose Haute Couture, denn bereits vor 1910 bricht in der Entwicklung der Mode eine neue Zeit an. Nach dem 2. Weltkrieg herrschte in den Jahren von 1949 bis 1957 eine eng taillierte Silhouette vor. Der Look der Sechziger Jahre (1960 – 1968) wird bestimmt von der Engländerin Mary Quant, die Weltruhm mit einem kurzen Hemdkleidchen in Sack-Linie, das in krasser Ablehnung zur Wespentaille steht, erwarb. André Courrèges ist es, der den Minirock in die Haute Couture einführt. "1964 landet ein bis dahin völlig unbekanntes Gesicht mit blondem Bubikopf auf dem Titel eines Modemagazins" erklärt Dr. Belting. "Das Bild des spindeldünnen Mädchens macht weltweit Furore. Mit schlaksigen, langen Gliedern und kindlich naivem Gesichtsausdruck präsentiert sie den neuen Look der Sechziger Jahre in perfekter Weise. Eine kritische Entwicklung in Sachen extrem schlanker Vorbilder bleibt nicht aus, denn die normale Durchschnittsfrau kann bei Twiggys Maßen unmöglich mithalten. Durch die Ablegung des Korsetts wird das Schlankheitsdiktat demnach keineswegs reduziert, sondern bleibt Schönheitsideal."

Ein Blick in die modische Zukunft verrät schon heute: Die Schnürung ist ein Modethema, das auf Publikum und Modemacher nach wie vor Faszination hervorruft und wohl sich (hoffentlich) nie vom Modegeschehen ganz verabschieden wird. Doch bei allen Vorbehalten heißt es heutzutage mehr denn je: Erlaubt ist, was gefällt!

Die Ausstellung "Mode sprengt Mieder – Silhouettenwechsel" ist noch bis zum 16. Mai 2010 im Stadtmuseum Münchne zu sehen.
Zur Ausstellung erscheint beim Hirmer Verlag ein gleichnamiges Katalogbuch von Dr. Isabella Belting mit 144 Seiten, 69 Farbtafeln, 86 überwiegend farbigen Abbildungen, 24 x 28 cm, Klappenbroschur, Gestaltung von Katja Durchholz.

Weitere Informationen:
www.muenchner-stadtmuseum.de

(Der Link wurde am 25.01.2010 getestet.)

Bildtext: Karikatur über die kurvenreiche Mode Ende des 19. Jhs., aus: Il diavolo Rosa 1883.

brikada goes video: Ein kleiner Film über die Veranstaltung: