Brikada - Magazin für Frauen

Brikada

Katalog zur Ausstellung „Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann“

10.06.2016

 

 

 

 

Heutige Generationen stellen sich Nero eher wie Peter Ustinov vor, der im Monumentalfilm „Quo vadis?“ den römischen Kaiser faszinierend irrsinnig, dekadent und grausam darstellte. Doch Nero konnte auch anders und war ein durchaus akzeptabler Künstler und Bauherr.

 

Allein der Versuch, Kaiser Nero (reg. 54-68 n. Chr.) mit griffigen Worten zu beschreiben, gleicht einem Blick durchs Kaleidoskop. Eine schillernde Persönlichkeit, in der Jugend vom Volk anerkannt, später gefürchtet und verhasst. Nun, den Herrscher exakt einzuordnen, misslingt. Zu dicht ist das Geflecht von Legenden, Vorurteilen, beliebig Tradiertem und historisch ungenauen und falsch interpretierten Fakten, die es ohnehin nicht in ausreichendem Maße gibt.

 

Bildunterschrift (o.): Blick in den Ausstellungsraum Nr. 2 im Rheinisches Landesmuseum Trier 

 


Umso bemerkenswert ist der zur derzeit  im Rheinischen Landesmuseum Trier präsentierten Ausstellung  „Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann“ mit gleichem Titel versehene Katalog. Ein wahrhaft pfundiges Werk (Umfang 440 Seiten, Gewicht ca. 3 kg) ausgestattet mit einer Autoren-Armada von namhaften Historikern, Kunstgeschichtlern, Archäologen und Museumsdirektoren. Hier wird bereits deutlich, mit welcher Forscherleidenschaft sich das Wissenschaftsteam um Kristina Schulz (Textredaktion) dem komplexen Nero-Thema angenommen hat. Die breitgefächerte Themenpalette spricht Bände für sich. Jeder sorgfältig ausgearbeitete Beitrag zeigt, mit welcher Akribie, ja mit welch geradezu kriminalistischem Spürsinn die Autorinnen und Autoren die jeweiligen Themen ausleuchten, um so mit einer möglichst eng belegbaren Wahrheit der Person Neros näher zu kommen.

 

 

 


Bildunterschrift (r.): Terrakottafigur der Heiligen Agathe, 15. Jh. © Museum am Dom Trier, R. Schneider 

Thematisch ist der Katalog chronologisch aufgebaut Neros Weg zur Macht, Am Hofe Kaiser Neros, Die kaiserliche Selbstdarstellung. Im Kapitel Nero, der Politiker geht es darum, wie Nero den Senat und das römische Volk so formte, dass beide seinem politischen Kalkül entsprachen. Es folgen die Beiträge Nero, der Bauherr, Nero, der Künstler und Nero der Tyrann.

 







Besondere Beziehungen hatte Kaiser Nero zu Frauen. Dazu liefert Annette Alexandridis mit Frauen um Nero – Ehefrauen und Geliebte einen aufschlussreichen Beitrag. Damals wurde aus Staatsmacht erhaltenden Gründen geheiratet, verstoßen und aus politischen Gründen gar gemordet. Claudia Octavia war Neros erste Frau. Später ließ er sich mit der Freigelassenen Claudia Acte ein, darauf mit Poppaea, die schließlich seine zweite Ehefrau wurde. Octavia wurde erst verstoßen, später brutal ermordet und somit von der politischen Bühne eliminiert. Die gemeinsame Tochter von Nero und Poppaea, Claudia, starb allerdings wenige Monate nach der Geburt, nicht ohne, dass Nero zuvor Ehefrau und Kind zur Augusta (Kaiserin) gemacht hatte. Ein unerhörter Affront gegenüber den Anhängern der Republik und den herrschenden Regeln. Neros Geliebte Claudia Acte entwickelte sich – nachdem sie Poppaea als Ehefrau Neros gewissermaßen abgelöst hat – zur taffen Geschäftsfrau mit ausgeprägtem Sinn für erfolgreiches Wirtschaften, reichlichem Grundbesitz mit luxuriöser Ausstattung. Schließlich nimmt Autorin Alexandridis die beiden Herrschaftskonzepte von Octavia und Poppaea ins Visier. Durchaus modern anmutende Erfolgsstorys.

 

Bildunterschrift (u.): Museum am Dom: „Nero und die Christen“  Schale mit Märtyrerin zwischen zwei Löwen © Römisch Germanisches Zentralmuseum Mainz. Foto: RGZM/Lübke  Wiedemann, Stuttgart 

 

 

 

 

 

Die äußerliche Aufmachung des Katalogs (Schutzumschlag) entspricht ganz der kaiserlichen Attitüde: ein effektvoll ausgeleuchtetes Porträt des Kaiser Nero, in flammendes Rot (Anspielung auf das Nero zu geschriebene brennende Rom?) getaucht, gekrönt mit rötlich ins Hellgelbe changierendem Lorbeerkranz und fast erschreckend lebendig blickenden Augen. Das Bildmotiv der Kataloginnenseite hingegen zeigt das nackte, ungeschminkte Porträt Kaiser Neros. Aller Insignien beraubt mit einem Gesichtsausdruck, der alle denkbare Schandtaten widerspiegeln zu scheint. Diese Doppeldeutigkeit signalisiert dem Betrachter einmal mehr das Ambivalente der Person Neros.



Brikada-Empfehlung: Ein spannendes Lese-, Lern- und Entdeckungsbuch, die Persönlichkeit Kaiser Nero neu zu erfahren, ohne Beschönigungen und vor allem ohne Bestätigung vieler alter Vorurteile. Spurensuche und Versuche der Wahrheitsfindung aus Münzen, Scherben und Skulpturen. Ein auch für Laien verständlich verfasster Ausstellungsbegleitband, der Kaiser Nero als komplexe Persönlichkeit freilegt. Die gelungene Bildredaktion besorgte Maria Carmen D'Onza. Ein prächtiger Katalog!
Brigitte Karch

„Nero Kaiser, Künstler und Tyrann“, herausgegeben von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Rheinisches Landesmuseum Trier in Verbindung mit dem Stadtmuseum Simeonsstift und dem Museum am Dom. 460 Seiten, 44 Beiträge mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Karten und Zeichnungen, gebunden mit Schutzumschlag; 39,95 Euro, ISBN: 978-3-8062-3309-4, erschienen im Theiss Verlag – WBG, 2016.

brikade berichtet seit Beginn dieses Jahres über die Nero-Ausstellung:
* Rheinisches Landesmuseum Trier zeigt Nero-Ausstellung „Schatzkammer auf Zeit“vom 2016-01-14
* Dr. Elisabeth Dühr: „Nero ist als Persönlichkeit hochinteressant“ vom 2016-02-06 
* Im Gespräch mit Dr. Marcus Reuter zum Thema „NERO – Kaiser, Künstler und Tyrannvom 2016-04-03

 


 

Bildunterschrift: Marmorporträt des Nero, 64-68 n. Chr., © Rheinisches Landesmuseum Trier, Th. Zühmer. Original: München, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek.

 

Weitere Informationen:
www.wbg-verlage.de


Titelbild: Hintergrund: Kaiserthermen, Ansicht des erhaltenen Mauerwerks © GDKE - Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Tim Hufnagel. Buchtitel des Katalogs „Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann“ , erschienen im Theiss Verlag 2016



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